Mo 30.10.2023 Ruine München Companions zeigt:
CONVERSATION PIECE


hosted by:
Die Verdauung / The Digestion




CONVERSATION PIECE
Essen/Food: Paula Erstmann, Kostüm/Costume: Paulina Nolte, Setting: Jan Erbelding, Leo Heinik, Jakob Braito, Georgia Kaw, Maria VMier, Closing Ritual: CAConrad

MO 30.10.2023
16:58 – 24:00 Uhr

Ort/Site: Bäuche der Anwesenden / The Bellies of Those Present

Bitte bis 20. Oktober anmelden / Please RSVP until 20th Oct
Plätze sind begrenzt, deshalb am besten frühzeitig anmelden / Capacity is limited so register early to not miss out.

mail@ruine-muenchen.de
(Name & Telefonnummer)

BARRIEREFREIHEIT / ACCESSIBILITY

COMPANION TEXT



ENGLISH TRANSLATION BELOW

DE

Felder, Büsche, Vögel, Wolken, Sonne, Autos, Tümpel, Gebäude sausen vorbei, durch die zugekniffenen Augen sehe ich sie als Farben, Striche, alles verwischt, die Haare fliegen und zwischendurch auch mein Körper, alles wackelt und holpert, hüpft und rast. Ich halte mich fest am Rand der Box vorne drin in Paulas Lastenrad. Was für ein Irrsinn. Wie Achterbahnfahren oder Topspin. Ich wieder Kind und ganz Körper und Begeisterung, in alle Richtungen geschleudert. Das war Herbst 2019. Auf den Landstraßen der Uckermark, Brandenburg. Und wir beide, also Paula und ich, hatten ein Stipendium bei Libken. An dem Tag sind wir von Hof zu Hof gefahren, um einzukaufen für die „Lange Tafel“, ich glaube so hieß es, ein großes Essen, das Paula dreimal im Rahmen ihrer Residency umsetzte. Paula hatte sich als roten Faden überlegt, nur Zutaten aus der Gegend zu verwenden und alle Gerichte über dem Feuer zu machen. Schon vormittags ging es los mit Vorbereitungen draußen im Garten, wir wickelten ein Zicklein in Blätter ein und vergruben es im Boden mit der Glut. Verschiedene Gemüse wickelten wir in Lehm ein und schmissen sie ins Feuer, es gab heißen Apfelsaft, der auf einem kleinen Grill gemacht wurde und Mohnbuttermilchwaffeln. Das Wetter war so wie heute, feucht und nieselig, ich war froh um meine Jacke und um was Warmes in den Händen, im Mund, im Bauch. Es gab ständig etwas zu tun und ständig etwas zu essen oder zu trinken oder abzuschmecken oder abzuwaschen. Paula war das Zentrum von all dem, bereitete zu, gab Anweisungen, erklärte, deligierte – und das mit einer unglaublichen Entspanntheit und Begeisterung für alles, was da entstand. Alles wird ausprobiert, klappt mal sehr gut, mal weniger, alles ist lecker und nichts ist reine Show, einfach und kompliziert, alles nebeneinander, viel und kleinteilig, manchmal messy, mal schlicht, oft üppig, immer reichlich. Bisschen so wie meine Mama kocht, spontan und experimentell. Love that.

Paula erzählte, dass sie als Kind eine Lebensmittelallergie hatte und ihr zudem das Essen der Mutter nicht geschmeckt hatte und gleichzeitig hatte sie ein großes Bedürfnis nach leckerem Essen und Genuss. So hat sie angefangen für sich zu kochen und auch tatsächlich überlegt Köchin zu werden. Dann aber Graphikdesign an der HfBK in Hamburg studiert, weil sie an Gestaltung interessiert war und weil sie Angst hatte, dass sie sonst den Spaß am Kochen verlieren könnte. Mit Beginn des Studiums hat sie aber sofort die Lust am Graphikdesign verloren und nur noch gekocht. Zum Beispiel im Rahmen von Kostümdinnern in der eigenen Wohnung, organisiert zusammen mit ihrer Mitbewohnerin und Kommilitonin Lisa Alice Klosterkötter. Als ich mit Paula vor kurzem telefoniert habe, auch wegen dem Text hier, fragte ich sie, als was sie sich selbst bezeichnen würde. Sie meinte, sie ist so zwischen Gestalterin und Künstlerin und Köchin. Alles passt und alles nicht ganz. Vielleicht kann man sagen: Paula kocht viel im Kunstkontext, und wird dafür auch als Künstlerin eingeladen, aber eben nicht nur. Sie gibt beispielsweise Kochworkshops im Rahmen der Floating University oder hat mit geflüchteten Frauen einen Gemeinschaftsofen gebaut. Dann wieder muss sie sich ganz klar als Künstlerin bezeichnen, aus so crazy bürokratischen Gründen: für die KSK musste sie ihr Künstlerinnentum langwierig beweisen, weil, für ihre sich einer eindeutigen Einordnung entziehende Tätigkeit, nur die Kunst und ihre Fördersysteme eindann doch weit genug gefasster Container sein können und ihre Arbeit mit ermöglichen. Je nach Kontext ändern sich Paulas Rolle und auch die Diskurse, in die ihr Tun eingebettet sind. Das zu beobachten, macht ihr großen Spaß. Paula reagiert auf bestimmte Bedingungen, auf vorhandene Ressourcen und auf die jeweiligen Bedürfnisse, sie schaut was da ist, was benötigt wird, was sie beitragen kann. Manchmal wird das dann mehr als Kunst, ein anderes Maleher als urbane oder sozio-kulinarisch oder vermittlerische oder performative Praxis eingeordnet. Für Paula selbst ist Kochen in erster Linie ein Gestaltungsmedium, mit dem sie Räume schafft und Geschichten erzählt. Kochen als Versorgen und Sorge tragen.

Am Telefon sprechen wir darüber, wie Essen so viele Sinne gleichzeitig bedient, im Gegensatz zur allgemein sehr visuellen Kunst. Wir sprechen weiter über die Ephemeralität, darüber dass am Ende nichts bleibt, objekthaft außen zumindest, wir gemeinsam alles in unsere Körper aufnehmen, es umwandeln in unsere Körper, als unseren Körper. Wir sprechen darüber wie wenig direkte Vorbilder wir finden für das, was sie macht, in ihrem sehr eigenen widerspenstigen Zwischenbereich. Wir sprechen über andere kochende Künstler*innen und es sind irgendwie immer die gleichen Männer-Namen, die auftauchen, wir wiederholen sie hier nicht. Wir sprechen über Relationale Ästhetik und beschließen es gleich wieder zu vergessen. Wir sprechen davon, wie wir bei Männern, die kochen, an professionelle Sterne-Küche denken und bei Frauen an die Hausfrau. Und wie bei letzterem immer noch eine Abwertung mitschwingt, weil unprofessionell, weil Heimarbeit, weil Frauenarbeit, weil reproduktive Sorgearbeit. Wir sprechen über die Schürze als das repräsentative Kleidungsstück dafür. Wir kommen auf Susan Cianciolo und ihre Run Kitchens zu sprechen, temporäre Restaurant-Installationen, die sie gemeinsam mit Familie und Freund*innen gestaltet und betreibt. Das macht dann schon mehr Sinn in Beziehung zu Paulas Arbeit. Ich erzähle von Cianciolos kleinem Zine mit Rezepten und Zeichnungen, dass ich mal vor langer Zeit gekauft hatte, in einem Künstler*innenbuchladen in Chicago. Wir sprechen über heutige elitäre Dinner im Kunstbetrieb, wie dort eingeladen und ausgeschlossen wird, und über slicke Showessen, die gerade überall stattfinden, ob für Design oder Kunst, und über Foodporn auf Instagram. Wir sprechen über Kartoffeln mit Butter und Salz. Und irgendwann taucht das Bild auf, das Paula hat, wenn sie an das größte Glücksgefühl denkt, das sie beim Kochen hat: Wie sie auf Zehenspitzen stehend in riesigen Töpfen rührt.

Ich kann mich in all diesen Überlegungen sehr gut wieder erkennen, auch viele der Themen berühren mich als Ruine. Bewusst gewählt in den Zwischenbereichen aktiv sein / die Schwierigkeit Vorbilder zu finden / sich der Einordnung in Kategorien immer wieder entziehen / sich immer wieder neu identifizieren und verorten / Gast geben und Dienst leisten ohne als Künstlerfigur darin zu verschwinden / im temporären und angewandten Bereich arbeiten. Das alles macht es nicht unbedingt leichter die eigene Arbeit zu vermitteln. Umso mehr schätze ich Paulas Widerständigkeit und Eigenwille. Und was ich jetzt fast vergessen habe: Paula’s Essen ist immer super lecker, eigen und fun und sieht dabei fantastisch aus. Ich freue mich auf jeden Fall sehr, dass sie für den letzten Teil von Ruine München Companions – das Conversation Piece – sieben Companion-Gerichte für uns zubereiten wird. Paula wird dafür in den Tagen vor dem 30. Oktober durch München ziehen, zu verschiedenen Lebensmittelgeschäften und Märkten. Mehr weiß ich auch nicht, Paula wollte nichts sagen – weil sie es noch nicht weiß, weil sie sich nicht festlegen will, weil sie offen bleiben will, für das was da ist. Alles Überraschung für Alle.

(Ruine München, Oktober 2023)


Link zum Companion-Text: Die Verdauung / The Digestion

Paula Erstmann ist Künstlerin, die vorwiegend mit Lebensmitteln als künstlerischem Medium arbeitet. Ihre Performances, Menüs und Essens-Installationen verhandeln die gesellschaftlichen Kontexte der verwendeten Nahrungsmittel und sind künstlerische Forschungsarbeiten zwischen Kunst und Alltäglichem. Die kulinarische Arbeit der in Berlin lebenden Künstlerin öffnet sowohl sinnliche als auch soziale Räume. Mit ihrer Arbeit und der Idee des gemeinsamen Speisens will sie Distanzen aufbrechen und Raum für Dialog ermöglichen. Welche Geschickten erzählt uns das Essen, das wir essen? Das Geschirr, die Textilien, der Tisch von dem wir speisen? Welche kollektiven Erinnerungen weckt Essen in uns?

https://www.instagram.com/paula.erstmann/

EN

fields, bushes, birds, clouds, sun, cars, ponds, buildings whizzing by. Through squinted eyes I see them as colours, strokes, all blurred, my hair flying, and now and then my body too, everything wobbling and shaking, bouncing and whirling. I hold on to the edge of the box at the front of Paula's cargo bike tightly. What madness. Like riding on a roller coaster or the Top Spin. Me, a kid again, all body and enthusiasm, flung in all directions. That was autumn 2019, on the country roads in Uckermark, Brandenburg. And both of us, that is Paula and I, had a scholarship to Libken. That day we drove from farm to farm to shop for the Long Table, I think it was called, a big meal that Paula put on three times as part of her residency. Paula’s concept was using only locally sourced ingredients and to cook all dishes over an open fire. Starting in the morning with preparations in the garden, we wrapped a baby goat in leaves and buried it in the ground with the coles. We wrapped various vegetables in clay and threw them into the fire. There was hot apple juice prepared on a small grill as well as poppy seed butter milk waffles. The weather was similar to today – damp and drizzly. I was glad to have my jacket and something warm in my hands, my mouth and my belly. There was always something going on and always something to eat, or drink, or taste, or wash up. Paula was at the centre of all of it, preparing, giving instructions, explaining, delegating – and all with an incredible relaxation and enthusiasm for everything that was being created. Everything was an experiment, sometimes working well and sometimes not so much. Everything was delicious and nothing was pure show – simple and complicated, everything alongside each other. There was huge amounts and everything was very detailed, sometimes messy, sometimes easy, often lush, and always abundant. A bit like my mum’s cooking, spontaneous and experimental. Love that.

Paula told me that as a child she had food allergies and didn’t like her mother’s food that much, and at the same time was really interested in delicious food and its associated pleasures. So she started cooking for herself and actually considered becoming a chef. But then she studied graphic design at the HfBK in Hamburg because she was also interested in design and also worried that becoming a chef might take the fun out of cooking. With the beginning of her studies, however, she immediately lost the desire for graphic design and only cooked. For example, she often put on costume dinners in her own apartment with her roommate and fellow student Lisa Alice Klosterkötter. When I spoke to Paula on the phone recently, also in regards to this text, I asked her how she would describe herself. She said she is something between a designer and an artist and a cook. Everything fits and also not quite. Perhaps one could say Paula cooks a lot in the context of art and is often invited as an artist for this purpose, but not only for this. For example, she gives cooking workshops as part of the Floating University or has built a communal oven with refugee women. Then again, she has to clearly call herself an artist, for crazy bureaucratic reasons. For the KSK, for example, proving her status as an artist was a lengthy process because what she does defies clear classification, and only art and its funding context is a broad enough container to encompass her work. Depending on the context, Paula’s role changes, as does the discourses in which her work is embedded. She really enjoys observing this. Paula reacts to certain conditions, to existing resources and to the respective needs of a given situation. She looks at what is there, what is needed and what she can contribute. Sometimes this is then classified more as art, other times more as urban or socio-culinary, or mediatory, or as performative practice. For Paula herself, cooking is first and foremost a design medium with which she creates spaces and tells stories. Cooking as giving and caring.

On the phone we talk about how food addresses so many senses at once, compared to generally more visual art forms. We continue to talk about ephemerality, about how in the end nothing remains, objectively from the outside at least, we collectively absorb everything into our bodies, transform it through our bodies, as our bodies. We talk about how few models there are to describe what she does, in her very own unruly in-between. We talk about other cooking artists and it’s always the same men’s names that come up, we don't repeat them here. We talk about relational aesthetics and decide to forget it immediately. We talk about how when we think of men cooking, we think of professional star cuisine and when we think of women we think of the housewife. And how the latter still resonates with a devaluation, because of the unprofessional nature, because it’s work at home, because it’s women’s work, because it’s reproductive, care work. We talk about the apron as the symbolic garment of this. We talk about Susan Cianciolo and her Run kitchens – temporary restaurant installations that she sets up and runs together with family and friends. This makes more sense in relation to Paula's work. I talk about Cianciolo’s little zine of recipes and drawings that I bought a long time ago at an artist bookstore in Chicago. We talk about today’s elitist dinners in the art world, the way they invite and exclude, and about the slick show dinners that are happening everywhere right now, whether for design or art, and about food porn on Instagram. We talk about potatoes with just butter and salt. And at some point, the image Paula has when she’s happiest in the kitchen comes up – stirring huge pots while standing on tiptoe.

I can relate a lot to all of these thoughts and reflections, and many of the topics also touch me as Ruine. Consciously choosing to be active in in-between spaces / the difficulty of finding role models / eluding classification or categories again and again / identifying and locating oneself anew again and again / hosting and being of service without disappearing as an artistic figure / working in temporary and in applied artistic areas. All this does not necessarily make it easier to communicate one’s own work. All the more I appreciate Paula’s resistance and self-will. And what I almost forgot now: Paula’s food is always super delicious, quirky and fun, and she always looks fantastic doing it. I’m definitely very excited that she is preparing seven companion dishes for us for the final part of Ruine München Companions – Conversation Piece. In the days leading up to October 30th, Paula will be traveling around Munich to various grocery stores and food markets. That’s all I know, Paula didn't want to say much because she also doesn’t know yet, because she doesn't want to commit, because she wants to stay open to what’s there. It’s all a surprise for everyone.

(Ruine München, October 2023)


Link to the Companion-text: Die Verdauung / The Digestion

Paula Erstmann is an artist working predominantly with edibles as her artistic medium to create a sense of community and stimulate a dialogue between people. There are numerous performative gestures in the everyday rituals of eating. Most of them are so familiar that one hardly notices or questions them anymore. Paula's performances, menus and food installations explore the social contexts of the foods she uses and their characteristic qualities. The culinary work of the Berlin-based artist are research works between art and the everyday: they re- and decontextualize codes that we associate with the act of eating, specific ingredients, or a sense of taste. They open sensual as well as social spaces to generate social experiences. And above all, they encourage the perception of food (and its presentation) as an aesthetic and resonant medium of communication, rethinking its possibilities. Paula is a food poet and social activist.as Geschirr, die Textilien, der Tisch von dem wir speisen? Welche kollektiven Erinnerungen weckt Essen in uns?

https://www.instagram.com/paula.erstmann/